Noch vor der
offiziellen Veröffentlichung sorgte die zweite PISA-Studie in Deutschland für
Furore. Seitdem wird der Umbau des Bildungssystems noch heißer diskutiert. Nach
Ansicht des Landescaritasverbands in Bayern (LCV) gibt es an den Schulen nicht
nur zu wenig Lehrer, sondern auch zu wenig Sozialarbeiter. Die Katholische
Nachrichten-Agentur (KNA) befragte dazu Michael Kroll, Referent für
Jugendsozialarbeit beim LCV in München.
KNA: Herr Kroll,
die zweite PISA-Studie hat erneut aufgezeigt, dass die Bildungschancen in
Bayern stark von der sozialen Herkunft abhängen. Wer aus einer schwierigen
Familie kommt, hat es auch schwerer an der Schule. Was läuft in den Schulen
falsch?
Kroll: Das Schulsystem in Bayern ist sehr auf
Wissensvermittlung fixiert. Dabei müssten die Schüler fit gemacht werden, um
ein eigenständiges Leben in dieser Welt führen zu können.
KNA: Was
kommt zu kurz?
Kroll: Zum Beispiel werden Durchhaltevermögen und
Konfliktfähigkeit zu wenig gefördert. Vielen Schülern fehlen elementare
sprachliche Kompetenzen. Berufspraktische Grundlagen kommen oft zu kurz. Vor
allem aber wird das Selbstvertrauen der Jugendlichen kaum gestärkt, dass sie
etwas können, wenn sie nur Mut haben, ihre Fähigkeiten auch richtig
einzusetzen.
KNA:
Erschreckend hoch ist die Zahl der Schüler ohne Abschluss und Berufsausbildung.
Kann Sozialarbeit da helfen?
Kroll: Mittelfristig schon. Wenn die Sozialarbeiter
wirklich an den Schulen angesiedelt sind, können sie mit Schulverweigerern
rechtzeitig arbeiten, sie in ihren Fähigkeiten bestärken und so eine
Perspektive eröffnen. Es wird immer einen Rest von Jugendlichen geben, die
keine Lust auf Ausbildung haben und sich lieber so durchs Leben schlagen. Aber
die hohe Quote, die wir mittlerweile haben, müsste nicht sein. Inzwischen
machen in Deutschland sieben Prozent eines Jahrgangs keinen Abschluss und fast
15 Prozent keine Ausbildung.
KNA: Was tun
die Jugendsozialarbeiter an den Schulen konkret?
Kroll: Unsere Sozialarbeiter sind vor allem an den
Haupt- und Förderschulen, vereinzelt auch schon in Grundschulen eingesetzt. Sie
arbeiten mit den Schülern individuell und in Gruppen, wenn es sein muss, auch
in der Unterrichtszeit. Wenn es zum Beispiel zwischen Schülern unterschiedlicher
Nationalität in einer Klasse Zoff gibt, üben sie mit ihnen, wie sich Vertrauen
herstellen lässt, wie man sich tolerant verhält und so Gewalt vorgebeugt wird.
Sozialpädagogen helfen Schülern auch bei der Jobsuche, etwa im Kontakt mit der
Arbeitsverwaltung.
KNA:
Trotzdem plant die Staatsregierung keinen Ausbau der Schulsozialarbeit - oder?
Kroll: Das Sozialministerium weiß, dass dieses
Programm notwendig ist, wird aber auch gedeckelt durch den vorgegebenen rigiden
Sparkurs. Wir müssen daher froh sein, dass die Jugendsozialarbeit an Schulen
derzeit zumindest eingefroren ist. In den nächsten zehn Jahren sollten 350
Stellen an Haupt- und Förderschulen sowie Schulen in sozialen Brennpunkten
geschaffen werden. Bis jetzt gibt es 82. Das reicht für einen Flächenstaat wie
Bayern keinesfalls aus. Kompetentes Personal gäbe es genug.
KNA: Will
die Politik aus PISA nichts lernen?
Kroll: Ministerpräsident Edmund Stoiber hat in seiner
Regierungserklärung vor einem Jahr die Bedeutung der Jugendsozialarbeit an Schulen
betont. Wir fordern ein, dass diesen Worten auch Taten folgen. In der Praxis
sieht es anders aus. Andererseits ist Bayern das einzige Bundesland, das noch
ein solches Programm hat. Der Lernbedarf besteht also bundesweit.
KNA: Jetzt
scheint die Zeit für die einfachen Rezepte zu sein: Mehr Ganztagsschulen,
Hauptschulen weg - was denken Sie darüber?
Kroll: Zumindest sollte diskutiert werden, ob man die
Kinder weiter bereits nach vier Jahren auf drei Schultypen verteilt oder ob man
sie länger zusammen lernen lässt, zum Beispiel bis zur sechsten Klasse.
Faktisch ist die Hauptschule zur Restschule geworden. Anstatt sie abzuschaffen
könnte man sie auch reformieren, damit die Schüler nicht von vornherein mit dem
Gefühl dorthin kommen, dass sie später sowieso keine Chance im Leben haben.
Interview:
Christoph Renzikowski (KNA)