LESUNG "LEBENDIGE BIBLIOTHEK" IN INGOLSTADT organisiert von IN VIA Bayern e.V.
INTERNATIONALER TAG GEGEN GEWALT AN FRAUEN
Von Marina Jaciuk, Koordination "IN VIA-Lebendige Bibliothek"/MIND
Gewalt hat viele Gesichter und kann viele Formen annehmen. Auch Aberkennung, Geringschätzung, Abwertung, Missachtung, Verachtung und Unterschätzung stellen eine, wenn auch nicht körperlich und sichtbar, dennoch leider "effektive" Form der Gewalt gegen Frauen. Diese Form der Gewalt ist universell, denn auch wenn wir glauben, dass nur bei den "Anderen" eine solche Form von Gewalt vorkommt, ist sie tatsächlich in jeder Gesellschaft und jeder Kultur existent. Auch in Deutschland müssen sich Frauen - unabhängig ihrer Herkunft - mit Abwertung und Verachtung in ihrem Alltagsleben konfrontieren. Leider handelt es sich aber auch um eine verbreitete Erfahrung vieler migrierten Frauen, vor allem aus Ländern außerhalb Europas. Dabei kann der "Andere" aus meiner Erzählung der eigene Mann sein, die "neue" Familie darstellen, oder allgemein die Gesellschaft. Das Zusammenspiel zwischen Geschlecht und Herkunft lässt in vielen Fällen solche Mechanismen der Abwertung entstehen. Vielleicht Fragen Sie sich gerade, wieso das eigentlich Gewalt sein sollte… ganz einfach: weil es verdammt weh tut.
Lesung im Café Moritz am Rathausplatz
Die IN VIA-Lebendige Bibliothek (MIND-Projekt) war am 22. November 2018 Teil der Veranstaltung "Jede dritte Frau", organisiert von der Ingolstädter Gleichstellungsstelle. Die Lesung fand im Café Moritz am Rathausplatz statt, wo die beleuchtete Installation ORANGE "Jede Dritte Frau" und Info- und Fachberatungsstände platziert waren. Die allgemeine Veranstaltung begann um 17:30 mit Grußworten der Gleichsstellungsbeauftragten, Frau Barbara Deimel, gefolgt von Statements von Mitarbeiterinnen erfahrener Beratungs- und Fachstellen, so wie das Frauenhaus Caritas und Wirbelwind e.V.
Um 18:30 begann die MIND-Lesung im Café. Ein vielfältiges Publikum - darunter Vertreterinnen von Frauenorganisationen wie Soroptimisten, Zonta Club, "alte" und "neue" zugewanderte Frauen sowie
Wunsch nach einer Welt ohne Gewaltsozial engagierte und allgemein interessierte BürgerInnen - hörte die Kurzgeschichten der IN VIA-Lebendigen Bibliotheken, fühlte mit und diskutierte über die verschiedenen Formen der Gewalt an Frauen.
Die Kurzgeschichten der Migrantinnen fokussierten sich dabei auf unterschiedliche Aspekte der Gewalt an Frauen, die aber aus einer internationalen und transkulturellen Perspektive beleuchtet wurden. So erzählte Uie aus Taiwan über eine sehr subtile Form von Gewalt und Diskriminierung an Frauen in ihrem Land, nämlich die symbolische Gewalt der finanziellen Verschuldung von Frauen. Weil Frauen in der taiwanesischen Kultur eine untergeordnete Rolle Männern gegenüber zugewiesen bekommen, ist es nicht selten, dass die Frau für die von ihrem Mann gemachten Schulden bürgen und einstehen muss. Diese finanzielle Belastung, die sehr groß sein kann, zerstört viele Frauenleben und auch das Leben ihrer Kinder.
Marina erzählte die Geschichte "Camila", über ein argentinisches Mädchen, das ihre Mutter zur Demo "Keine mehr" begleitet. Camila war aber eine unter vielen Frauen und Mädchen gewesen, die in Argentinien Opfer geschlechtsbezogener Gewalt waren. Femizid ist ein Hassverbrechen: es handelt sich um den Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Das Konzept definiert einen Akt von Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Gewalt, der normalerweise von einer Reihe extremer Gewalt und entmenschlichenden Praktiken begleitet wird, wie etwa Folter, Grausamkeit und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Femizid ist ein gravierendes Problem der lateinamerikanischen Gesellschaften. Länder wie Honduras, El Salvador und die Dominikanische Republik stellen die statistische Spitze von Femizid-Fällen in Lateinamerika dar. Auch Mexiko und Brasilien weisen hohe Zahlen auf. In Argentinien ist in der letzten Dekade ein Anstieg von Femiziden zu beobachten: Jedes Jahr werden durchschnittlich 250 Frauen und Mädchen getötet.
Der Text von Biljana stellte das Ende der Lesung dar und bot die Vorstellung an, immer an einem "Licht hinter dem Horizont" der Gewalt zu denken. Im "Zauber des Lebens" reflektierte die Autorin über die gute Seite des Lebens, über die Möglichkeit einer Welt ohne Gewalt… und diese Möglichkeit ist da, unabhängig des kulturellen Hintergrunds: es geht um die Vorstellung einer Gesellschaft, in der man mit der Hilfe des Anderen rechnen kann, in der man Gehör bekommt; einer Gesellschaft der Empathie und des gegenseitigen Respekts. Und auch wenn das alles so utopisch klingt, ist es dennoch unsere Aufgabe, von uns allen, egal aus welchem Land, egal mit welcher religiösen oder ideologischen Überzeugung, diese Utopie wahr werden zu lassen. Weil, wenn nicht wir… wer sonst?
Aus den Texten...
Das Zimmer schien nur aus 4 kargen Wänden zu bestehen. Ob es groß war, wusste sie eigentlich nicht mehr, da für sie sich diese 4 Wände sehr eng anfühlten. Es war dunkel, trotz eingeschaltetem Licht. Und das Zimmer war eine stumme Welt, auch wenn das monotone Geräusch des Fernsehens dieses kleinen Universums erfüllte.
Mitten im Zimmer saß der andere. Er schaute nicht zu ihr. Kein einziges Mal würdigte er sie eines Blickes. Es war eigentlich egal, was sie machte, was sie dachte, was sie fühlte, was sie war oder wer sie sein wollte.
"Du kannst nichts" sagte der andere zu ihr. Mit leiser Stimme. Ohne Regung. Ohne einen Blick in ihre Richtung zu verlieren.
Sie atmete tief ein und hielt die Luft eine Zeit lang an.
"Du weiß nichts" sagte der andere, ohne dabei die Ruhe zu missen.
"Du bist nichts". Ein unsichtbarer aber treffsicherer Schlag.
"Du bist nichts…" pochte das Echo in diesem Zimmer.
Eine Träne floss über ihr Gesicht. Und sie begann von der Erdoberfläche zu verschwinden…
- Flyer "INTERNATIONALER TAG GEGEN GEWALT AN FRAUEN 2018" in Ingolstadt