Walter Taubeneder, was ist Heimat?
Was bedeutet Heimat für Sie?
"Heimat" ist ein großer Begriff, seit jeher wohl auch schon mit starken Emotionen besetzt - und gerade in den vergangenen Jahren immer wichtiger für die Menschen geworden. Die Globalisierung und unterschiedliche Entwicklungen in den letzten Jahren - insbesondere die Ankunft vieler Geflüchteter in unserem Land - haben die Frage danach, was Heimat für uns ist, in das Zentrum vieler Überlegungen rücken lassen. Auf diese Frage gibt es wohl zwei Arten zu antworten: Ganz persönlich einerseits und in dem Versuch, abstrakt Maßstäbe aufzustellen, andererseits.
Wenn ich an Heimat denke, dann denke ich persönlich an meine Passauer Region: Die schönen Flüsse - Donau, Inn, Ilz und auch die Rott -, die gemütlichen sowie einladenden Ortschaften, die wunderbare Natur und auch die herzlichen und umgänglichen Menschen bei uns "dahoam". Zu dieser, meiner Heimat gehören ebenso unsere österreichischen Nachbarn - von meiner Haustüre aus sind es nur wenige Hundert Meter und man ist im schönen Oberösterreich. All das hat mich seit Kindheitstagen an geprägt und mitunter auch zu dem gemacht, der ich heute bin.
Dieser persönliche Zugang zum Heimatbegriff vermag auch ein Anknüpfungspunkt für den zweiten, abstrakteren Erklärungsansatz bieten: Heimat ist wahrscheinlich erst einmal die Region, aus der man kommt und zu der man deswegen (in den meisten Fällen) eine Verbindung hat. Heimat kann aber auch entstehen: An neuen Ortschaften durch Erlebnisse, Begegnungen, Beziehungen. Heimat - das dürfte wohl der Ort sein, an dem sich Menschen "angekommen" fühlen, an dem sie gerne dauerhaft bleiben mögen und sich auf Land und Leute vollends einlassen. Heimat gibt es also einmal als Faktum - da wo ich nunmal herkomme - und einmal als freie Wahl: Wo möchte ich bleiben und meine Beziehungen zu Mitmenschen prägen? Heimat schenkt Geborgen- und Sicherheit und ist für uns alle zentrales Element unseres eigenen Daseins.
Wo sehen Sie Zusammenhänge zwischen Migration und Entwicklung?
Den Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung kann man aus zwei Blickwinkel betrachten: Entwicklung als Ursache für Migration und Migration als Ursache für Entwicklung.
Die Entwicklung eines Landes ist meist dann Ursache für Migration, wenn sie hinter den berechtigten Erwartungen der dort lebenden Menschen zurückbleibt. Wenn die notwendigen Versorgungseinrichtungen für Nahrung, Wasser, Bildung, Gesundheit und sonstige Aspekte des alltäglichen Lebens nicht gegeben sind, wenn Krieg jedwede Lebensgrundlage zerstört, dann machen sich Menschen auf den Weg und verlassen ihr Land. Eine schlechte Entwicklung stellt insofern wohl den einflussreichsten Treiber für Migration dar.
Doch Migration ist auch Ursache von Entwicklungen: Im Ursprungsland, weil dort plötzlich Menschen fehlen, die möglicherweise benötigt worden wären, um Projekte mitanzustoßen oder ein Land wiederaufzurichten. Und im Aufnahmeland, weil dort gesellschaftliche Strukturen verändert und durch die Erfahrungsschätze neuer Mitmenschen herausgefordert und zugleich bereichert werden. Wichtig bei alle dem ist: Die durch Migration verursachte Entwicklung ist mitnichten eine "schicksalhafte"; man kann - und muss! - sie gestalten und so das bestmögliche Potential aus den neuen Gegebenheiten entfalten.
Wie erleben Sie den aktuellen Diskurs über Migranten/innen und Geflüchtete in Deutschland?
Die Debatte über Geflüchtete in unserem Land hat sei 2015 mehrere Wendungen erlebt: Von einer überbordenden Hilfsbereitschaft zu Beginn kamen wir in eine Phase der Resignation und vielleicht auch Frustration. Mittlerweile würde ich meinen, dass in unserem Land die Phase des "Anpackens" und "Alltäglichen" längst begonnen hat - wir diskutieren nicht mehr ständig über das, was sich - jedenfalls für die Vergangenheit - ohnehin nicht mehr ändern lässt, sondern wollen das Beste daraus machen. Natürlich erzeugt die Aufnahme von so vielen Menschen auch Probleme; mein Eindruck ist aber, dass die Chancen, die sich damit verbinden, nicht unbeträchtlich sind und wir durch unsere gesunde bayerische Einstellung einen wertvollen Beitrag zur Integration unserer Mitmenschen leisten können: "Nicht viel reden, sondern lieber machen!"
Was könnte im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit getan werden, damit Menschen nicht gezwungen sind, ihr Herkunftsland zu verlassen?
Niemand verlässt gerne seine Heimat und lässt dabei alles zurück; man tut dies nur, wenn es gar nicht mehr anders geht. Sooft es auch immer wieder gesagt wird, so richtig bleibt in diesem Kontext: Der Schlüssel zum Erfolg ist es, die Fluchtursachen direkt in den Heimatländern anzugehen. Wir müssen dafür sorgen, dass die notwendigen Infrastrukturen in den Herkunftsländern existieren - Essen, Trinken, Bildung, Gesundheit, Arbeit und ja: Auch die Abwesenheit von Gewalt und Willkür. Das alles setzt zuvorderst voraus, dass Frieden herrscht. Für unsere internationale Arbeit bedeutet das also: Zuerst internationale Konfliktherde befrieden - das ist ein langer und anstrengender Prozess, in welchem leider nicht immer alle Länder an einem Strang ziehen. Dann Hilfe zur Selbsthilfe leisten, indem wir nicht nur Geld, sondern insbesondere auch Know-how in die betreffenden Länder bringen und so dazu beitragen, dass dort dauerhaft - und eben selbsttragend - gesunde Strukturen für die Versorgung mit den oben benannten Gütern entstehen können. Flankiert werden muss das Ganze schließlich mit internationaler Überzeugungsarbeit, dass Gewalt und Willkür keine Prinzipien sind, auf denen Staaten existieren können; wir dürfen keinem Land unser oder irgendein anderes politisches System "aufdrängen", müssen aber trotzdem für unsere Überzeugungen werben. Wenn wir in den Ursprungsländern Perspektiven für die Menschen schaffen können, gibt es keinen Grund mehr, zu fliehen - das sind wir den Menschen vor Ort, den Heimatländern und schließlich auch uns selbst schuldig.