Meine sehr verehrten Damen und Herren,
der soziale Frieden ist die entscheidende Grundlage für eine sichere Zukunft. Am vergangenen Wochenende wurde in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Das Ergebnis zeigt eines deutlich: viele Menschen im Land sind verunsichert, haben Ängste und sorgen sich um ihre Zukunft. Dass dem so ist, müssen wir anerkennen. Wir müssen aber genau hinschauen, was echte und was bewusst geschürte Ängste sind. Es gibt aber auch eine gewisse Krisenmüdigkeit: die Coronapandemie, der Krieg in der Ukraine, wirtschaftliche Verwerfungen, Klimakrise. Aber - und auch das ist wichtig zu betonen: Gerade weil wir in einer Zeit komplexer Herausforderungen leben, gerade weil Ängste da sind, gerade weil einfache Antworten eben keine nachhaltigen Lösungen versprechen, müssen alle demokratischen Kräfte daran arbeiten, ernsthaft miteinander um die beste Lösung zu ringen. Parolen, die nur Emotionen schüren, helfen da nicht weiter. Es braucht nüchternes und seriöses Denken und Handeln.
Ich darf an dieser Stelle an ein historisches Ereignis erinnern. Vor 75 Jahren schuf der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee die Grundlagen für ein demokratisches Deutschland. Eine Besinnung auf das, was da grundgelegt wurde, ist gerade heute wieder dringend notwendig. Wir müssen unsere gemeinsamen Werte auf der Basis des Grundgesetzes verteidigen und gegen jede Form der Ausgrenzung angehen. Das bedeutet nicht, blauäugig die Augen zu verschließen vor den Problemen und Ängsten der Menschen. Aber es bedeutet, mit aller Macht den großen Schatz zu verteidigen, den die Verfassung uns bietet. Selbstverständlich müssen Probleme benannt werden und eine Diskussion darüber möglich sein, wie diesen Problemen begegnet werden kann. Dafür muss jeder in seinem Wirkungsbereich Sorge tragen.
Lassen Sie mich ein aktuelles Beispiel benennen, das uns auch in Zukunft begleiten wird: die Migrationsbewegungen nach Europa und Deutschland. Das Thema Migration hat bei den Wahlen am Sonntag offensichtlich einen hohen Stellenwert eingenommen. Das muss man nüchtern konstatieren. Ich warne aber vor der Versuchung, in eine fremdenfeindliche Diktion zu verfallen in der Hoffnung, damit Wählerstimmen zu gewinnen.
Bereits 2015 und seit dem vergangenen Jahr kommen sehr viele Geflüchtete in Deutschland an, die sich bei uns eine Zukunft aufbauen möchten. Viele kommen aus guten Gründen und haben das Recht auf Schutz und Asyl, ein grundgesetzlich verbrieftes Recht. Sie fliehen, weil sie politisch verfolgt sind, weil sie in ihrem Heimatland Angst um Leib und Leben haben müssen oder weil sie einer Minderheit angehören, die verfolgt wird. Gleichzeitig kommen viele, die aus ihren Heimatländern weggehen, um der Armut oder gesellschaftlichen Spannungen zu entfliehen und den Verheißungen des Wohlstands und der Sicherheit folgen.
Große Sorge bereitet mir, dass in der öffentlichen Debatte schon wieder alle, die zu uns kommen, in einen Topf geworfen und pauschal als Illegale abgewertet werden, die sich zu Lasten der Steuerzahler hier ein bequemes Leben verschaffen wollen. Ich sehe auch mit Sorge, dass in der öffentlichen Diskussion der Begriff Integration so gut wie nicht mehr vorkommt. Als politischer Erfolg zählt in dieser Denkweise nur noch die Zahl der Abschiebungen. Ich plädiere hier vehement für eine differenziertere Betrachtung der Situation, die sich auch in der Sprache niederschlagen muss.
Als Caritas leisten wir dazu einen wichtigen Beitrag. In Bayern sind derzeit weit über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Flüchtlings- und Integrationsberatung tätig, gefördert durch die bayerische Staatsregierung. Die Berater kennen am besten die Situation der Geflüchteten. Sie wissen um die unterschiedlichsten Fluchtgründe. Sie wissen am besten, dass man nicht alle über einen Kamm scheren darf. Wir helfen ohne politische Ideologie, aber wir bauen unsere Arbeit auf unserem christlichen Menschenbild auf. Hier darf ich noch einmal an den Verfassungskonvent erinnern. An erster Stelle steht die Würde des Menschen. Das gilt für alle!
Wir alle wissen um die kriminellen Handlungen im Zusammenhang mit Flucht, vor allem durch gewissenlose Schleuser. Das sind die Kriminellen, nicht die Geflüchteten.
Wir wollen, dass die Menschen, die ein Recht haben hier zu bleiben, sich integrieren können Unsere Beratungsstellen leisten hier großartige Arbeit. Menschen sollen schnell in Arbeit oder Ausbildung kommen und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können und unser Sozialsystem stützen. Dass sie auch einen Beitrag leisten können zum Fachkräftemangel - dazu wird Herrmann Sollfrank gleich noch etwas sagen. Diese Menschen bedrohen nicht unsere Privilegien, sondern leisten im Gegenteil einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft.
Es gibt Geflüchtete, die nicht hierbleiben können. Auch sie haben ein Recht auf einen menschenwürdigen Umgang und auch sie brauchen Unterstützung bei der Rückkehr in ihre Heimat. Die Forderung nach schnelleren Verfahren ist verständlich, um für alle Beteiligten zeitnah Klarheit zu verschaffen. Ich sage aber auch, dass dies nicht zu Lasten der Gründlichkeit gehen darf. Nicht zuletzt sehen wir unsere Aufgabe in diesem Bereich auch in der Stiftung von Solidarität, das bedeutet, dass wir die Bevölkerung teilhaben lassen an unserer Arbeit, dass wir erklären, was wir tun, und dass wir nicht davor zurückschrecken, uns für die Schwachen einzusetzen.
Das Schüren von Ängsten ist das Gift, mit dem Rechtpopulisten versuchen, das gesellschaftliche Klima zu verseuchen. Das dürfen wir nicht zulassen, denn am Ende werden nicht nur die Minderheiten und marginalisierten Gruppen unter einer solchen Politik leiden. Wir brauchen positive Erzählungen und Geschichten, wie aus Krisen Erfolge wurden. Im Kleinen und in der Arbeit vor Ort erleben wir das als Caritas jeden Tag, auch wenn es nicht immer einfach erscheint. Aber: Not sehen und handeln, das ist vorbehaltlos unser Auftrag und unsere Mission.
Ich danke Ihnen.