Das soziale Klima wird kälter in Bayern: Die
Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in Bayern (LAG FW) stellt
auf allen politischen Ebenen ein bedrohliches Desinteresse am Sozialen fest,
das sich nicht nur in den erneut anstehenden Einsparungen im Staatshaushalt
manifestiert. Auch die jüngsten Beschlüsse der Bezirkstage und neue
Gesetzesvorhaben - wie das Kommunale Entlastungsgesetz der Staatsregierung -
zeigen deutlich: Auf der politischen Agenda rangiert das Soziale an letzter
Stelle. Das können und wollen die Wohlfahrtsverbände nicht hinnehmen.
Im Vorfeld der Haushaltserstellung für 2005/2006 haben
Christa Prinzessin von Thurn und Taxis, LAG FW-Vorsitzende und Präsidentin des
Bayerischen Roten Kreuzes, und Johann Frankl, Verwaltungsdirektor des Landes-Caritasverbandes
und Geschäftsführer der LAG FW, am 28. Juli 2004 in einer Presskonferenz im
Münchner PresseClub Stellung zu den Folgen des Sparzwangs und den daraus
resultierenden Forderungen der Wohlfahrtsverbände.
Freie Wohlfahrt fordert eine Ende
der Sparorgien im sozialen Bereich
Entwurf des Kommunalen
Entlastungsgesetzes wird abgelehnt
Das soziale Bayern blutet aus, ein Ende der Sparorgien ist
auch in den Sozialetats nicht abzusehen. Der von der Politik vorgebrachte
Grund:
Den nachkommenden Generationen dürfe kein
Schuldenberg hinterlassen werden. „Statt dessen hinterlassen wir zerstörte
soziale Strukturen und eine kalte Gesellschaft ohne inneren Zusammenhalt“,
kritisiert Christa Prinzessin von Thurn und Taxis, Vorsitzende der
Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern. Die in der LAG
FW zusammengeschlossenen Verbände – AWO, BRK, Caritas, Diakonie, Israelitische
Kultusgemeinden und der Paritätische - beobachten schon seit längerem, dass das
Soziale angesichts knapper Kassen im Freistaat immer mehr in den Hintergrund
gerät. Heute stellten sie in München ihre Forderungen vor.
Jüngster Streich der Staatsregierung sei der Entwurf des
Kommunalen Entlastungsgesetzes. Damit sollen die Kommunen befriedet werden. Für
die LAG FW bedeutet es aber:
Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts: Die Betroffenen
sollen nicht mehr frei wählen können, welchem Pflegedienst oder welchem Heim
sie sich anvertrauen.
Stärkung der
Sozialhilfeträger: Die Lage der öffentlichen Haushalte soll bei der Verhandlung
über Pflegesätze berücksichtigt werden. Das bedeutet: Sozialpolitik nach
Kassenlage.
Schwächung der Leistungsträger: Entgeltverträge sollen nach
Ablauf der Vertragsdauer nur noch sechs Monate fortgelten. Die Kostenträger
könnten den Leistungsträgern dann Entgelte diktieren.
Diese Absichten würden unabgesprochenen Sparaktionen
Vorschub leisten und es würden aus Sicht der LAG FW die Vorgänge in Schwaben –
einseitige Kündigung der Verträge – legalisiert. „Daran zeigt sich, dass es der
Staatsregierung ausschließlich darum geht, die Kommunen und die höheren
Sozialhilfeträger zu entlasten, und damit eigentlich den eigenen Haushalt des
Staates vor den berechtigten Finanzausgleichsforderungen der Kommunen und
Sozialhilfeträger zu verschonen“, so Christa Prinzessin von Thurn und Taxis.
Darüber hinaus leide die Wohlfahrt und damit auch ihre
Klientel unter den schon bisher beschlossenen Einsparungen. Der Geschäftsführer
der LAG, Johann Frankl nannte heute Beispiele: In der Stationären Altenhilfe fänden
dringend erforderliche Investitionen in die Modernisierung der Häuser nicht
statt, die Kreditfinanzierung durch Banken sei nicht möglich, weil die Kostenträger
diese höheren Finanzierungskosten nicht akzeptieren wollen. In der Behindertenhilfe
würden Projekte eingestellt, bei Betreuungsvereinen würde die Beratung
ehrenamtlicher Betreuer von Menschen, die ihre Dinge nicht mehr selber regeln
können, beendet. „Die berufliche Betreuung durch Rechtsanwälte erfordert in
vielen Fällen aber wieder eine Kostenübernahme durch den Staat“, erinnert
Frankl. Es sei richtig, dass für die Finanzierung der Wohnungslosenhilfe
eigentlich die Kommunen zuständig sind. Angesichts ihrer eigenen Finanzknappheit
würden sie aber die Kürzung des Staatszuschusses nicht auffangen. „Folglich
werden spätestens im nächsten Jahr die Öffnungs- und Sprechzeiten der Beratungsstellen
verkürzt, die Begleitung Ehrenamtlicher eingestellt und Übernachtungsstellen
oder Wärmestuben geschlossen.“ Wegen der Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe
hätten Kinder aus sozial schwachen Familien kaum noch Möglichkeiten zu pädagogisch
begleiteten Ferienaufenthalten. Die Hilfe für Migranten müsse drastisch reduziert
werden, bei Diakonie, AWO und Caritas wurden rund 40 Stellen gestrichen. „Wenn
man bedenkt, dass ein Berater jährlich Kontakt zu 250 Personen hat, dann ist
erkennbar, wie viele Migranten bei persönlichen und sozialen Problemen dann
keine Ansprechpartner mehr haben“, berichtete Frankl.
Zurückgewiesen hat die LAG FW den Vorwurf, den Verbänden
gehe es nur um Besitzstandswahrung, sie würden „mauern“. „Die Freie
Wohlfahrtspflege ist offen für neue Strukturen und Konzepte, man muss uns nur
einbinden in die Gespräche“, betonte Christa Prinzessin von Thurn und Taxis.
Sie schlägt vor, dass der Staat und die Freie Wohlfahrtspflege gemeinsam über
die Zukunft des Sozialstaates in Bayern nachdenken und entsprechende Maßnahmen
einleiten. Das allerdings erfordert Zeit.
Um die soziale Infrastruktur und die Hilfe für Menschen in
Not nicht weiter zu schädigen, fordert die LAG FW von der Bayerischen
Staatsregierung:
-
Verschiebung des Ziels „Nettoneuverschuldung bei
Null“ auf das Jahr 2008
-
Keine weiteren Kürzungen im Sozialetat des
Doppelhaushalts 2005/2006
-
Wiederaufnahme der Investitionskostenförderung
in der stationären Altenhilfe und der Behindertenhilfe im Jahr 2005
-
Mehr finanzielle Unterstützung des Freistaats
Bayern für die sozialen Aufgaben der Bezirke
-
Kein Kommunales Entlastungsgesetz in der jetzt
vorliegenden Form
-
Gemeinschaftliche Fortentwicklung des sozialen
Bayern
Statement Christa
Prinzessin von Thurn und Taxis, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege in Bayern
Etwas ist
faul im Freistaat Bayern. Unter Regierung der Christlich Sozialen Union gerät
das Soziale immer mehr ins Hintertreffen. Wir, die Arbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege in Bayern, können und wollen nicht weiter zuschauen,
wie unserer Klientel – immerhin rund drei Millionen älteren Menschen,
Pflegebedürftigen, Behinderten, Jugendlichen oder Wohnungslosen – sukzessive
die Unterstützung entzogen wird.
Diese
Menschen sind keine attraktive Zielgruppe für die Politik, ohne Zweifel, doch
der Staat hat auch für sie Verantwortung. Das ist nicht nur unsere Meinung als
AWO, BRK, Caritas, Diakonie, Israelitische Kultusgemeinden und Paritätischer.
Das steht schlicht in der bayerischen Verfassung.
Daran müssen wir die Regierenden offenbar erinnern.
Jüngstes
Beispiel: Der Entwurf zum Kommunalen Entlastungsgesetz, auf das Herr Frankl
gleich noch genauer eingehen wird. Ich möchte hier nur so viel sagen: Es greift
zulasten der Pflegebedürftigen massiv in das bisherige gleichwertige
Miteinander zwischen Kosten- und Leistungsträgern ein. Dieses Vorhaben zeigt
deutlich, dass es der Staatsregierung darum geht, die Kommunen und die höheren
Sozialhilfeträger zu entlasten, und damit den eigenen Staatshaushalt vor den -
berechtigten - Finanzausgleichsforderungen der Kommunen und Sozialhilfeträger
zu verschonen. Es ist also ein Gesetzentwurf, der in einem altruistischen
Gewand daherkommt, in Wirklichkeit aber nur die finanziellen Interessen des
Staates verfolgt.
Dies
werden wir heute gegenüber dem Staatsministerium auch deutlich machen. Wenn wir
- wie in diesem Fall - gehört werden, dann können wir auch konstruktiv
mitarbeiten.
Lassen Sie
mich in diesem Zusammenhang auf das Interview mit Sozialministerin Christa Stewens
in der
Süddeutschen Zeitung am 27. Juli
2004
eingehen: Sie wirft uns vor, wir würden Einsparungen verhindern, unsere
Heimleiter wüssten schon, wo es Potenzial gäbe, trauten sich nur nicht, das
laut zu sagen.
Unsere
Wahrnehmung ist allerdings eine ganz andere. Frau Stewens soll uns bitte Ross
und Reiter nennen, dann können wir konstruktiv vorgehen. Geheimnisvolle
Andeutungen helfen nicht weiter.
Wo kann
man also Kürzen? Geht es ans Personal, sagen wir „Stopp“. Und wir erinnern auch
Frau Stewens daran, dass sie im letzten Landespflegeausschuss noch erklärt hat,
dass eine Senkung des Personalschlüssels mit ihr
„nicht zu machen
“ sei.
Alternativen
müssen also gemeinsam gesucht werden. Wir repräsentieren immerhin 14.500
Facheinrichtungen und Projekte im sozialen Bereich mit rund 170.000
hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 250.000 Ehrenamtlichen.
Damit sind wir nicht nur ein volkswirtschaftlicher Faktor, wir sind darüber
hinaus auch der soziale Kitt, der mit dafür sorgt, dass der Freistaat prosperiert,
dass die Wirtschaft floriert. Denn soziale Netze sind die notwendigen
Voraussetzungen für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln.
Doch ein „Gemeinsam“
ist momentan wohl nicht erwünscht: Oft stellt man uns einfach vor vollendete
Tatsachen – wie in den Bezirken Schwaben und Oberfranken geschehen. Dass die
Rechtsaufsicht sich im Fall Schwaben auch noch weigert, tätig zu werden, obwohl
geltende Verträge gebrochen wurden, treibt die Sache auf die Spitze.
Dass Frau
Stewens
„im Sozialbereich kaum mehr
Sparmöglichkeiten“(SZ)
sieht, das haben wir allerdings mit Freude vernommen.
Und lassen Sie mich von hier aus sagen: Wir sichern der Ministerin unsere volle
Unterstützung zu, wenn es darum geht, dies gegen Finanzministerium und
Staatskanzlei zu verteidigen.
Das wird
nicht leicht, denn das Soziale ist derzeit nicht
gerade en vogue.
Ein
kleines Beispiel: Der Fraktionsvorsitzende der CSU im Landtag, Joachim
Herrmann, sagte dem Münchner Merkur am 1. Juli 2004, soziale Leistungen stünden
nicht zur Diskussion. Und was zählt er auf als „soziale Leistungen“? Die
Jugendarbeit und – den Breitensport!
Auch an
der obersten Spitze von CSU und Freistaat spüren wir den Rückzug: Er wolle das
soziale Bayern stärken, sagte der Bayerische Ministerpräsident in seiner
Regierungserklärung am 6. November 2003. Als wir vor wenigen Wochen bei
Ministerpräsident Edmund Stoiber zum Gespräch waren, verlor er kein Wort zu
unserem Thema.
Das
allumfassende Argument für den Sparkurs lautet: „Wir dürfen kommenden
Generationen keine Schulden hinterlassen.“ Das ist aus unserer Sicht entweder
kurzsichtig oder fahrlässig. Denn das Sparen im Sozialbereich hinterlässt folgenden
Generationen eine rissige Gesellschaft, klaffende Entwicklungs- und Bildungslücken
zwischen Arm und Reich, marode Heime und Pflegenotstände. Da auch künftige
Generationen von einer intakten sozialen Infrastruktur profitieren, ist es
ethisch zu verantworten, sie auch an den Kosten zu beteiligen.
Stattdessen
werden Bereiche, die immens wichtig sind für die Zukunft dieses Landes, einfach
ausgetrocknet. Die Notwendigkeit der Betreuung von Kindern aus sozial schwachen
Familien wird beispielsweise negiert, indem man die entsprechenden
Fördermaßnahmen (hier sind es pädagogisch begleitete Ferienmaßnahmen der
Kinder- und Jugenderholung) einfach streicht. Das ist Sozialpolitik nach Kassenlage.
Es ist
unverantwortlich, den Menschen dringend notwendige Hilfen zu verweigern.
Richtig ist der Verweis auf die Eigenverantwortung auch der sozial schwachen
Menschen. Aber man muss genau durchdenken, was Menschen finanziell selber
leisten können und wo sie die Solidarität der Gesellschaft brauchen.
Eines möchte ich hier besonders
betonen: Die Freie Wohlfahrtspflege ist offen für neue Strukturen und Konzepte!
Sie schlägt deshalb vor,
gemeinsam mit dem Staat über die Zukunft des sozialen Bayern nachzudenken und
entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Das allerdings erfordert Zeit. Nehmen wir
uns diese Zeit nicht, besteht die Gefahr, dass wirksame und aktivierende
Hilfeangebote auf Dauer nicht mehr zur Verfügung stehen. Das könnten weder der
Staat noch die Freie Wohlfahrtspflege verantworten.
Dass wir- wie es Staatsministerin
Stewens ausdrückt
- „mauern“,
stimmt schlicht
nicht. Wir sind kooperativ. Wir werden nur nicht immer gefragt: Bei den
Gesprächen über die Sozialkosten der Bezirke und den Finanzausgleich waren wir zum
Beispiel nicht eingebunden.
Um die soziale Infrastruktur
und die Hilfe für Menschen in Not nicht weiter zu schädigen, plädieren wir
dafür, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne Neuverschuldung mindestens
bis 2008 zu verschieben. Dies böte dem Staat und der Wohlfahrtspflege die
Möglichkeit, gemeinsam über neue Strukturen und eine Neujustierung des
Sozialstaates nachzudenken und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Vor diesem Hintergrund
fordert die LAG FW:
-
Keine
weiteren Kürzungen im Sozialetat des Doppelhaushalts 2005/2006
-
Wiederaufnahme
der Investitionskostenförderung in der stationären Altenhilfe und der
Behindertenhilfe im Jahr 2005
-
Mehr
finanzielle Unterstützung des Freistaats Bayern für die sozialen Aufgaben der
Bezirke
-
Kein
Kommunales Entlastungsgesetz in der jetzt vorliegenden Form
-
Zurück
an einen Tisch zur gemeinsamen Fortentwicklung des sozialen Bayern
Statement
Johann Frankl, Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien
Wohlfahrtspflege in Bayern
Im
Nachtragshaushalt 2004 sind im Bereich des Bayerischen Staatsministeriums für
Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen 161,1 Millionen Euro gekürzt
worden. Weitere Kürzungen wurden hinsichtlich der Förderschulen im Nachtragshaushalt
des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vorgenommen.
Außerdem
hat der Bezirk Schwaben seine Entgelte für die Pflegeheime und die
Eingliederung von Menschen mit Behinderung um fünf Prozent gekürzt. Ein klarer
Rechtsbruch, der bis heute von der Rechtsaufsicht nicht beanstandet wurde. Alle
bayerischen Bezirke haben 2004 die Übernahme der Kosten für die Sozialpsychiatrischen
Dienste massiv gekürzt. In vielen Landkreisen und Kommunen sind Zuschüsse für
soziale Einrichtungen gekürzt worden, zum Beispiel bei der Erziehungsberatung.
Diese
Streichungen und Kürzungen haben das Soziale Netz in Bayern empfindlich beschädigt.
Die
Kürzungen haben in erster Linie Familien, Menschen mit Behinderung, sozial
Schwache, ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, Kinder und Jugendliche,
kranke Menschen getroffen. Also gerade die Menschen, die in besonderer Weise
auf die solidarische Hilfe des Staates und der Gesellschaft angewiesen sind.
Soziale
Arbeit und Pflege ist Hilfe von Mensch zu Mensch. Wer hier sparen muss, muss am
Personal sparen. So mussten denn auch im Bereich der Behindertenhilfe allein
bei der Caritas 120 Stellen gestrichen werden, im Bereich der Migrationshilfen
bei der Diakonie, bei der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt rund 40 Stellen.
Mit dem Stellenabbau bei den Sozialpsychiatrischen Diensten, der Wohnungslosenhilfe
und der Jugendhilfe sind zum Beispiel bei der Caritas in Bayern insgesamt rund
200 Stellen weggefallen. Dabei ist es nur vereinzelt zu betriebsbedingten
Kündigungen gekommen; generell versuchen die Wohlfahrtsverbände aber, Stellenabbau
auf dem Weg der natürlichen Fluktuation zu lösen.
Ich greife
einige Bereiche heraus, die von Kürzungen besonders stark betroffen sind.
Stationäre
Altenhilfe
Im
Landesaltenplan ist für 2004 kein neues Förderprogramm für Baumaßnahmen
aufgestellt worden. Beantragt waren rund 45 Millionen Euro Förderkosten. Niemand
weiß zur Stunde, ob 2005 ein neues Förderprogramm aufgelegt wird. 2004 konnten
lange geplante und dringend notwendige Modernisierungs- und Neubauarbeiten an
56 Projekten nicht begonnen werden. Dazu gehören Heime in Nürnberg und München,
in Augsburg und Senden, in Furth im Wald und
Sulzbach-Rosenberg und in mehreren kleinen Orten. Wegen der Aussetzung
des staatlichen Förderprogramms können weit über rund 1000 Pflegeplätze für
alte Menschen nicht modernisiert oder neu errichtet werden. Die Gesamtsumme der
veranschlagten Baukosten für die geplanten Investitionen beträgt rund 325 Millionen
Euro. Es geht bei diesen Projekten primär um die Erhaltung und zeit- und
bedarfsgerechte Ausstattung vorhandener Kapazitäten, nicht um die Schaffung
neuer Plätze. Wird die Sanierung nicht in absehbarer Zeit durchgeführt, müssen
Heime wegen veralteter Bausubstanz geschlossen werden. Was passiert dann mit
den alten Menschen, die einen Heimplatz brauchen? Die Haushaltssanierung des
Freistaates darf nicht auf Kosten der Generation gehen, die Deutschland nach
dem Krieg aufgebaut und zu Wohlstand geführt hat.
Behindertenhilfe
Die Mittel
des Landesbehindertenplanes sind überproportional um 20 Prozent gekürzt worden.
Die Investitionskostenförderung für neue Projekte im Rahmen des Landesbehindertenplans
wurde für 2004 eingestellt. Allein bei der bayerischen Caritas können deshalb
25 Projekte vorerst nicht realisiert werden, weil der Freistaat Bayern im Jahr
2004 Zuschüsse in Höhe von knapp 20 Millionen Euro verweigert. Dazu gehören
Modernisierungen und Neubauten von Heimen, Förderschulen und Werkstätten im
schwäbischen Ursberg und Lauingen, in Gremsdorf in der Oberpfalz und Schönbrunn
bei Dachau, in Au am Inn, Eichstätt und Passau. Im Bereich der stationären
Behindertenhilfe ist der Bedarf noch lange nicht gedeckt. 50 Prozent aller Menschen
mit geistiger Behinderung, die zu Hause leben, sind über 40 Jahre alt, 30 Prozent
über 50 Jahre. Sie werden in absehbarer Zeit nicht mehr von ihren Angehörigen
betreut werden können. Neben dem Ausbau der ambulanter Wohn- und Betreuungsformen
sind in den nächsten Jahren dringend staatliche Investitionen in diesem Bereich
notwendig. Bei der Caritas in Bayern zum Beispiel liegen rund 800 Anträge auf
Heimaufnahmen vor, denen derzeit aus Platzmangel nicht entsprochen werden kann.
Ein Aussetzen der Investitionskostenförderung durch den Freistaat ist deshalb
kein verantwortbarer Weg. Es zwingt die Träger, bei bereits begonnen Maßnahmen
auf eigene Kosten zur Zwischenfinanzierung. Im Bereich der Förderschulen hat es
Baustopps an bereits begonnenen Baumaßnahmen gegeben, zum Beispiel bei einer
Sonderberufsschule der Katholischen Jugendfürsorge in Plattling und einer
Schule für Körperbehinderte in Straubing. In Abensberg (Landkreis Kelheim)
wurde der Baubeginn für eine Förderschule auf unbestimmte Zeit verschoben; der
Träger, die Katholische Jugendfürsorge Regensburg, hatte über 12 Jahre lang mit
dem Kultusministerium das Projekt exakt geplant. Nun müssen behinderte Kinder
noch länger in zu kleinen Räumen und Containern betreut werden.
Betreuung
Die
Betreuungsvereine müssen sich als Folge der Kürzungen auf die Übernahme
hauptberuflicher Betreuungen konzentrieren. Die Beratung ehrenamtlicher Betreuer
wird weitgehend eingestellt. Ohne fachliche Beratung werden Angehörige und Ehrenamtliche
keine Betreuungen führen. Damit wird der gesetzliche Auftrag konterkariert:
Betreuung wird wie im alten Vormundschaftsrecht von Rechtsanwälten ohne
persönlichen Kontakt vom Schreibtisch aus erledigt. Die berufliche Betreuung
durch Rechtsanwälte erfordert in vielen Fällen auch eine Kostenübernahme durch
den Staat.
Wohnungslosenhilfe
Es ist
richtig, dass für die Finanzierung der Wohnungslosenhilfe eigentlich die
Kommunen zuständig sind. Angesichts ihrer eigenen Finanzknappheit werden sie aber
die Kürzung des Staatszuschusses nicht auffangen. Ob dies die Träger der sechs
Fachberatungsstellen tun können, ist fraglich. Folglich werden spätestens im
nächsten Jahr die Öffnungs- und Sprechzeiten der Beratungsstellen verkürzt, die
Begleitung Ehrenamtlicher eingestellt und Übernachtungsstellen oder Wärmestuben
geschlossen. Gesundheitliche und hygienische Gefährdungen durch das Leben in
Obdachlosigkeit werden zunehmen und zu medizinischen Folgekosten führen.
Kinder-
und Jugendhilfe
Wegen der
Kürzungen haben Kinder aus sozial schwachen Familien kaum noch Möglichkeiten zu
pädagogisch begleiteten Ferienaufenthalten Die Schulsozialarbeit wird
eingefroren, weil das Programm „Jugendsozialarbeit an Schulen“ nicht wie
geplant ausgebaut wird. Jugendwohnheime haben die Erzieherstellen gestrichen
und nehmen keine unter 18-Jährigen mehr auf, weil sie das Fehlen pädagogischer
Betreuung nicht verantworten können. Für diesen Kreis von jungen Leuten aus
strukturschwachen Gebieten und jungen Leuten mit Problemen wird es nun schwer,
einen Wohnplatz und damit einen Arbeitsplatz in München zu finden.
Hilfe für
Migranten
Durch den
Personalabbau bei Diakonie, Caritas und Arbeiterwohlfahrt finden Tausende von
Migranten keine Ansprechpartner bei persönlichen und sozialen Problemen mehr.
Ein effizientes System der Integration, Beratung und Hilfe für ausländische
Mitbürger wird allmählich zerstört, deren Integration erschwert. Gesetz zur
Entlastung der Kommunen im Sozialen Bereich (KEG)
Dramatische
Auswirkungen erwartet die freie Wohlfahrtspflege, wenn der von der Bayerischen
Staatsregierung vorgelegte Entwurf eines KEG verwirklicht werden sollte. Darin
sind neben einer Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts für die
Hilfesuchenden und einer stärkeren Heranziehung von Einkommen und Vermögen der
Klienten u. a. vorgesehen:
-
Stärkung der Verhandlungsposition der Sozialhilfeträger im
Vertragsrecht des SGB XII dadurch, dass beim Abschluss von Leistungs- und
Vergütungsvereinbarungen mit Einrichtungen und Diensten die Finanzkraft der
öffentlichen Haushalte angemessene Berücksichtigung finden muss.
-
Stärkung der Verhandlungsposition der Sozialhilfeträger im
Vertragsrecht des SGB XII dadurch, dass die Fortgeltung abgelaufener Vereinbarungen
auf die Dauer von sechs Monaten beschränkt wird.
Diese
Absichten würden die Verhandlungspositionen der Wohlfahrtsverbände und ihrer
Einrichtungen gegenüber den Kostenträgern drastisch verschlechtern und einseitigen
Sparaktionen Vorschub leisten (Legalisierung der schwäbischen Verhältnisse!)
Mit diesem
Gesetzesentwurf scheint sich die Bayerische Staatsregierung auch von dem Ziel
zu verabschieden, die Kommunalfinanzen auf neue Beine zu stellen.
In der
Begründung des Gesetzentwurfs wird an keiner Stelle darauf eingegangen, welche
Folgen die Vorschläge für Betroffene und für die Träger von Einrichtungen und
Diensten haben würden. An allen Stellen wird zur Begründung der Vorschläge
ausschließlich auf die positiven Folgen für die kommunalen Finanzen Bezug genommen.
Grundsätzliche
Anmerkungen
In der aktuellen
Debatte um den Umbau des Sozialstaates wird der Eindruck erweckt, als sei der
Sozialbereich ein Fass ohne Boden, in das unnütz Geld hineingesteckt wird, das
dann völlig verschwinde. Abgesehen davon, dass jede Gesellschaft sich auch um
ihre schwachen Mitglieder kümmern und ihnen ein menschenwürdiges Leben
ermöglichen muss, ohne sofort nach den Kosten zu fragen, ist auch der Eindruck
falsch. Der Sozialbereich ist auch ein eigenständiger Wirtschaftssektor mit
einem riesigen Ausgaben-, Nachfrage- und Beschäftigungseffekt auf den näheren
und umliegenden Wirtschaftsraum.
Fast alle
so genannten Reformen, ob in Berlin oder in München gemacht, verfehlen vom
Ansatz her den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit. Denn sie belasten
einseitig die sozial Schwachen und Hilfebedürftigen und fordern zu wenig die
Solidarität der Stärkeren und Starken ein. Hier sind künftig andere politische
Akzente zu setzen.
Eine reine
Sparpolitik ist volkswirtschaftlich falsch, weil sie bei einem großen Teil der
Bevölkerung die Kaufkraft schwächt. Auch die Aussetzung der Förderprogramme für
Investitionen in Bayern ist aus volkswirtschaftlicher Sicht problematisch. Die
regionale Bauwirtschaft und andere Wirtschaftszweige könnten durch die
Investitionsprogramme angekurbelt werden. Dadurch würden Arbeitsplätze
gesichert und neue geschaffen.
Sozialpolitik
darf sich nicht primär an dem ausrichten, was ein hilfebedürftiger Mensch
kostet, sondern danach, was er zu einem menschenwürdigen Leben braucht.