München.
Die Bahnhofsmissionen in Bayern fangen immer mehr in Not geratene Menschen auf.
Fast 250 000 Hilfesuchende nahmen im vergangenen Jahr die schnelle und
unbürokratische Unterstützung in Anspruch, teilte jetzt die Arbeitsgemeinschaft
der kirchlichen Bahnhofsmissionen mit. Das ist ein Zuwachs von rund neun
Prozent gegenüber 2009. Weit mehr als eine halbe Million Mal leisteten die
überwiegend
ehrenamtlichen Mitarbeitenden Hilfe –
kümmerten sich um Reisende, organisierten Notunterkünfte und hatten ein offenes
Ohr für Ratsuchende. Angestiegen ist nach Auskunft der Arbeitsgemeinschaft die
Zahl der jungen Menschen, die im vergangenen Jahr die 13 größtenteils
ökumenisch getragenen Einrichtungen zwischen Aschaffenburg und Passau aufsuchten:
Mehr als 40 000 waren unter 27. „Das entspricht einem Plus von fast 50
Prozent“, so Hedwig
Gappa
-Langer, Referentin für die
katholischen Bahnhofsmissionen beim IN VIA Landesverband Bayern, „2009 hatten
wir gut 27 000 Hilfesuchende in dieser Altersgruppe“. In den Bahnhofsmissionen Augsburg,
München, Würzburg, Nürnberg und Schweinfurt war diese Entwicklung besonders
deutlich. Die Gründe für diesen Anstieg freilich sind von Einrichtung zu
Einrichtung verschieden. Allein die Münchner Bahnhofsmission hatte in 2010 fast
12 000 Kontakte mit jungen Frauen und Männern unter 27, doppelt
soviel
wie noch im Jahr zuvor. Viele dieser Menschen
nutzten den Aufenthaltsraum der Bahnhofsmission und kamen zur Tee- und
Brotausgabe oder benötigten eine Reisehilfe. 435 Männer und Frauen zwischen 19
und 21 Jahren nutzten das Beratungsangebot der Münchner Bahnhofsmission.
Darunter waren einheimische junge Frauen und Männer, die gerade mal volljährig
schon ohne Obdach auf der Straße standen. Die Leiterinnen Gabriele Ochse und Andrea
Sontheim erläutern, dass
immer häufiger
Jugendliche mit ihrem 18. Geburtstag keine weiterführenden Hilfen seitens der
zuständigen Kostenträger erhalten würden oder aufgrund familiärer Konflikte das
Elternhaus verlassen. Keinen Schulabschluss, kein Geld, kein Platz zum
Schlafen, keine Hoffnung. „Sie sind noch so jung und schon perspektivlos, das
ist ein schlechter Start ins Erwachsen werden“, sagt
Gabriele
Ochse. Die Mitarbeitenden helfen beim Kontakt mit den
Behörden, vermitteln eine Unterkunft oder raten, falls möglich, zur Rückkehr
ins Elternhaus. Auch aus den neuen EU-Staaten Osteuropas kommen viele häufig
auch junge Hilfesuchende, deren Traum von einem besseren Leben in Deutschland
zerplatzt ist. „Vor allem junge Männer aus Rumänien und Bulgarien kommen nach
München, weil ihnen Arbeit versprochen wurde oder sie selbst Arbeit suchen.
Diejenigen von ihnen, die keine Deutschkenntnisse haben und ein niedriges
Bildungsniveau, finden häufig nur als Tagelöhner Arbeit oder werden von
Arbeitgebern ohne Arbeitsvertrag ausgebeutet.
Auch sie stehen vor dem Nichts“, weiß Andrea Sontheim. 2010 half die
Münchner Bahnhofsmission vielen Betroffenen unter anderem bei der Rückkehr in
ihre Heimat
.
Ähnlich
ist die Situation in Würzburg: Hier hat die Zahl der Hilfesuchenden mit
Migrationshintergrund um fast 30 Prozent zugelegt – und oft sind es
Osteuropäer, die in der Bahnhofsmission um Unterstützung bitten. „Mit Blick auf
die am 1. Mai 2011 anstehenden Gesetzesänderungen rechnen wir mit einer
weiteren deutlichen Zunahme“, sagt Bahnhofsmissions-Leiter Michael
Lindner-Jung, „gemeinsam mit anderen sozialen Diensten arbeiten wir daher mit
Hochdruck an Arbeitsperspektiven, um im Rahmen der eng begrenzten Möglichkeiten
Hilfe gewähren zu können“. D
ie Zahl der unter 27-Jährigen (2010: 1 470)
hat sich in der Augsburger Mission genauso verdoppelt wie die der
Hilfesuchenden insgesamt. Vermehrt junge Menschen in Wohnungsnot suchten dort
Rat und Hilfe. Fast 10 000 Gäste und über 700 Gespräche – eine Herausforderung
für die weitgehend ehrenamtlichen Mitarbeitenden: „Wir
kämpfen,
um möglichst vielen weiter zu helfen“, so Sozialbetreuerin Dagmar Kunkel-Epple
vom Diakonischen Werk. Viel zu tun hat auch die Nürnberger Bahnhofsmission, wo
die Zahl der betreuten jungen Menschen auf über 5 600 kletterte, rund ein
Drittel davon wiederum war noch keine 18. Eine Erklärung: „Der Bahnhofsbereich
wurde einfach häufiger als Treffpunkt genutzt“, so Einrichtungsleiterin Anita
Dorsch vom katholischen Träger IN VIA, „da kommen dann viele mit ihren
Problemen auch zu uns.“ Manche brauchen eine Unterkunft und intensive Beratung,
andere nur ein Pflaster oder eine Tasse Tee.
In Schweinfurt dagegen sind
hauptsächlich Schüler, allein reisende Kinder oder der Nachwuchs bahnreisender
Familien dafür verantwortlich, dass deutlich mehr Kinder und Jugendliche
registriert wurden als früher. Armut, Krankheit, Obdachlosigkeit, Hilflosigkeit
und Verzweiflung – die Helferinnen und Helfer werden tagtäglich mit einer
Vielzahl von Problemen konfrontiert. Laut Statistik setzt sich ein
besorgniserregender Trend fort: Immer mehr Menschen leiden unter psychischen
Auffälligkeiten. „Viele stecken in sozialen und finanziellen Schwierigkeiten“,
hat Michael Frank, Referent für die evangelischen Bahnhofsmissionen der
Diakonie Bayern, beobachtet: „Die meisten haben
mehrere
Probleme auf einmal.“ Die Bahnhofsmissionen seien oft der letzte Notanker im
Hilfesystem. Nach wie vor stark gefragt sind bayernweit die Hilfen im
Reiseverkehr.
Rund 47 500
Mal waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeite
zur Stelle: um betagten Fahrgästen oder Müttern mit Kindern beim Umsteigen zu
helfen oder allein reisende Kindern zu betreuen; um Reisenden, die sich
unterwegs verletzten oder in Not gerieten, „Erste Hilfe“ zu leisten oder um
einen Platz zum Ausruhen und Aufwärmen anzubieten. Vor allem Frauen über 65
schätzen den Dienst am Gleis: So kamen etwa 10 000 ältere Damen dank der oft
zitierten „Engel in Blau“ zum Zug.
Kontakt
für Nachfragen:
Hedwig Gappa-Langer, Referentin
für die katholischen Bahnhofsmissionen in Bayern, IN VIA Kath.
Mädchensozialarbeit Landesverband Bayern e.V. ,
gappa-langer@bahnhofsmission.de
,
Tel.: 089-7148501