München.
Bayerns Landes-Caritasdirektor Prälat Karl-Heinz Zerrle hat die Bundesregierung
aufgerufen, das Betreuungsrecht „nicht gänzlich auszuhöhlen und in sein
Gegenteil zu verkehren.“ Bei einer Arbeitstagung der Betreuungsvereine im Bereich
der bayerischen Caritas am 13. November 2003 in Freising sagte Zerrle, der
vorliegende Referentenentwurf zu einer Novellierung des Betreuungsgesetzes
weise leider in diese Richtung. Der Entwurf, der den Vorschlägen einer
Bund-Länder-Kommission folge, führe nach einer gesetzlichen Umsetzung zum
„Kapputtsparen der Betreuungsvereine.“ Schon jetzt müssten die
Betreuungsvereine seit Jahren steigende Eigenmittel für ihre Vereine aufwenden.
Seit 1999 seien die Kostenerstattungen gedeckelt. Künftig müssten die Träger
für jede Vollzeitstelle mehr als 15.000 Euro jährlich aus Eigenmittel
aufbringen. Damit seinen viele Träger überfordert und würden „wohl aus der
gesetzlichen Betreuung aussteigen.“ Das aber, sagte der Landes-Caritasdirektor,
sei für die Betroffenen fatal. Die gesetzliche Betreuung, betonte Zerrle, sei
„kein Randthema. Jeder von uns kann von heute auf morgen einen gesetzlichen
Betreuer brauchen, etwa nach einem Schlaganfall oder einem Unfall.“
Hintergrund:
Das neue Betreuungsrecht
Vor elf
Jahren hat der Gesetzgeber ein modernes Betreuungsrecht in Kraft gesetzt. Diese
Reform löste das alte Vermundschafts-und Pflegschaftsrecht ab. Es sollte altersdementen,
geistig behinderten und, je nach Schwere der Erkrankung, auch psychisch kranken
oder suchtkranken Menschen durch eine gesetzliche Betreuung ein weitgehendes
selbständiges Leben im Alltag ermöglichen. Es sollte also die Situation von
Menschen regeln, die – wie es im Gesetzestext heißt – „ihre Angelegenheiten
nicht mehr selber besorgen können.“ Die Würde der betroffenen Menschen und der
Schutz ihrer Rechte wurden in den Mittelpunkt gerückt. Das Gebot der persönlichen
Betreuung trat an die Stelle von Entmündigung und anonymer Verwaltung. Dadurch
ist eine überaus positive Entwicklung eingetreten. Diese Entwicklung darf nicht
umgekehrt werden!
Betroffen:
150.000 Menschen in Bayern
150.000
Menschen in Bayern sind auf eine rechtliche Betreuung angewiesen. Rund 70
Prozent der Betreuungen werden ehrenamtlich geführt, überwiegend von
Angehörigen. Das kann auch so bleiben und es soll so bleiben. Aber man darf
diese ehrenamtlichen Betreuer nicht alleine lassen. Um ihnen die Tätigkeit zu
erleichtern, wurden Betreuungsvereine gegründet. Betreuungsvereine sorgen für
die Gewinnung, Einführung und Fortbildung der ehrenamtlichen Betreuer. Außerdem
übernehmen sie schwierige Betreuungsfälle, die von ehrenamtlichen Betreuern
nicht geführt werden können.
Folgen der
Kostensteigerungen
Bei der Arbeitstagung in Freising stellten die
Mitarbeitenden der Betreuungsvereine in Bayern die Folgen der beabsichtigten
Gesetzesnovellierung dar. Die Betreuerin Erika Pfaff vom Katholischen
Jugendsozialwerk in München sagte, es sei ein Trugschluss, wenn die Justizminister
meinten, man könne die gesamte gesetzliche Betreuung ehrenamtlich organisieren.
Die Materie sei so kompliziert, dass eine qualifizierte Begleitung der
ehrenamtlich tätigen Betreuer unabdingbar sei. Um die Kosten des Vereins
wenigstens zum Teil zu refinanzieren, müsste ein hauptberuflicher Mitarbeiter
künftig nicht 30, sondern mehr als doppelt so viele Betreuungen führen. Dann
bleibe weder Zeit zum persönlichen Gespräch noch zur Begleitung ehrenamtlicher
Betreuer. Außerdem sähen sich die Vereine massiven Haftungsproblemen gegenüber.
Helmut Schindler, Justiziar bei der Katholischen Jugendfürsorge in Regensburg:
„Wer am Fließband und im Schnellverfahren schwierigste rechtliche,
wirtschaftliche, persönliche und soziale Probleme lösen soll, wird Fehler
machen, für die die Betreuungsvereine dann haften müssen.“
Im Übrigen sollte, sagte Erika Pfaff, auch den
Justizministern klar sein, dass beim Zerbrechen der Betreuungsvereine auch
viele Betreuungen nicht mehr ehrenamtlich geführt werden können, weil ihnen die
fachliche Begleitung fehle. Die betroffenen Menschen müssten ins Heim, obwohl
sie bei geeigneter Unterstützung in ihrer eigenen Wohnung leben könnten. Das
sei auch für den Sozialstaat teuerer. Eine Betreuerin befürchtete sogar, dass
die Suizide zunehmen könnten: „Wir sind oft die einzigen Personen, mit denen
die betroffenen Menschen in Kontakt stehen. Manche sind ohne uns dann ganz
allein.“ Keine Lösung, darüber waren sich alle einig, sei es, wenn man zu
früheren Zeiten zurückkehre. Schindler: „Betreuungen müssen geführt werden.
Wenn das weder wir tun können noch ehrenamtliche, werden es junge
berufsunerfahrene Rechtsanwälte tun. Viele machen das dann wie früher vom
Schreibtisch ohne jeden persönlichen Kontakt. Dann wäre das ganze Gesetz
umsonst.“
Politische
Aktivitäten des Landes-Caritasverbands
Landes-Caritasdirektor
Prälat Karl-Heinz Zerrle kündigte an, der Landes-Caritasverband werde in den
nächsten Monaten seine politischen Aktivitäten für ein modernes Betreuungsecht
verstärken. Unter anderem will er sich an die Bayerische Justizministerin Beate
Merk wenden. Die Landtagsabgeordnete Christine Kamm (Bündnis 90/Die Grünen),
die als einzige Politikerin an der Freisinger Tagung teilgenommen hatte,
kündigte an, sie werde eine Expertenanhörung im Landtag anregen.