Dieses Fazit zogen Experten aus der freien Wohlfahrtspflege bei einer Fachtagung in Augsburg. Die Tagung wurde veranstaltet vom Landes-Caritasverband Bayern, dem SKM in der Diözese Augsburg-Katholischer Verband für soziale Dienste, dem Diakonischen Werk Augsburg, der "Brücke" Augsburg und der Katholischen Jugendfürsorge München.
Nur wenige kindliche Täter unter 15 Jahren
Eine Mitarbeiterin des Bayerischen Landeskriminalamtes legte bei der Tagung statistische Daten vor. Sie zeigen, dass die Zahl kindlicher Täter unter 15 Jahren nach wie vor gering ist. Polizeilich erfasst wurden in Bayern im Jahr 2001
- 16.717 Kinder (2000: 16.733)
- 35.859 Jugendliche (2000: 33.982)
- 32.523 Heranwachsende (2000: 31.518)
Das zeigt: Knapp 20 % aller jugendlichen Tatverdächtigen sind Kinder unter 15 Jahren. Die erfassten tatverdächtigen Kinder stellen einen Anteil von unter einem Prozent ihrer Altersgenossen dar. Kindliche Intensivtäter sind die absolute Ausnahme.
Jeder vierte Tatverdächtige (85.099, das sind 26,9% aller Tatverdächtigen) war ein Kind, ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender. Bei den Kindern war ein leichter Rückgang um 0,1 % gegenüber 2000 festzustellen, bei den Jugendlichen und Heranwachsenden dagegen eine Steigerung um 5,5 % bzw. 3,2 %. Dass die Täter immer jünger werden, war nicht festzustellen.
Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen war weiterhin rückläufig und betrug bei den Kindern 19,4% (2000: 20,9%), bei den Jugendlichen waren es 20,2% (2000: 20,3%) und bei den Heranwachsenden 27,9% (2000: 29,2%).
Weiter zugenommen haben in allen drei Altersgruppen die Registrierungen wegen Körperverletzungsdelikten. Im Bereich der Körperverletzungen ergab sich 2001 im Vergleich zum Vorjahr bei den Kindern eine Zuwachsrate von insgesamt 7,7%, bei den Jugendlichen ein Zuwachs von 10,6% und bei den Heranwachsenden eine Steigerung um 10,4%. Ein Erklärungsansatz für den Anstieg in diesem Bereich Körperverletzungen liegt, so das Landeskriminalamt, im Charakter der Polizeilichen Kriminalstatistik als Anzeigen-Statistik. Kinder und Jugendliche agieren im Gegensatz zu Erwachsenen - und dies gilt ganz besonders bei Gewaltdelikten - vornehmlich im öffentlichen Raum. Straftaten im öffentlichen Raum kommen generell vermehrt zur Anzeige als Straftaten im privaten Bereich, in dem eher Erwachsene als Gewalttäter auftreten.
Der allgemeine Trend der Zuwachsraten im Bereich der Körperverletzungen zeigte sich übrigens im Bereich der Schule nicht.
Ursachen der Entstehung von Jugendgewalt und dissozialem Verhalten
Dissoziales Verhalten fängt früh an und ist ziemlich überdauernd. Seine Häufigkeit ist mit fünf Prozent anzugeben, allerdings wird nur ein kleiner Teil als Tatverdächtige auffällig. Zu dissozialem Verhalten rechnete Dr. Monika Deuerlein, die Geschäftsführerin des Landesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen in Bayern, zum Beispiel die Neigung zu generalisierten Verhaltensmustern ("alle Bayern, alle Ausländer sind..." oder: "Jeder, der mich anschaut, macht mich an"), fehlende Alternativen zu aggressivem Verhalten, relative Angstfreiheit, häufige Grenzüberschreitung, niedrige Hemmschwelle (Fahren auf S-Bahnzügen, Joyriding, also in fremden Autos hochriskant fahren, Drogenkonsum, riskantes Sexualverhalten).
Jugendgewalt und dissoziales Verhalten werden nach Auffassung der Experten begünstigt durch unverbindliche Regeln in der Familie und Schule. Eine "kühle" Schule trägt dazu ebenso bei wie ein Elternhaus, das bereits dissoziale Züge aufweist. Frühe Gewalterfahrungen, labile und psychisch kranke Eltern, die Bereitschaft der Eltern, selbst Gewalt auszuüben, erhöhen das Risiko dissozialen Verhaltens bei Kindern. Schlechte Zukunftschancen aufgrund niedrigen Bildungsniveaus begünstigen Gewaltbereitschaft und dissoziales Verhalten ebenso.
Gefordert ist also ein Erziehungsstil, der, so Dr. Deuerlein, "aus freundlicher Zuwendung und konsequenter Haltung besteht. Er soll positives Verhalten der Kinder verstärken. Dabei ist handeln fast immer erfolgreicher als reden. Grenzen zu setzen ist notwendig und erfolgreich, aber auch das Einüben von sozialem Verständnis." Allerdings ist nicht die Familie für alles verantwortlich. Ein Ausbildungsplatz und ein Arbeitsplatz sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass junge Menschen in die Gesellschaft integriert werden und in der Zukunft einen Sinn sehen können. Hier sind weitere politische Initiativen insbesondere für junge Menschen aus sozial schwächeren Schichten gefordert.
Ratlose Jugendhilfe?
Ist die Jugendhilfe angesichts von echten Problemkids ratlos? Meist nicht, sagte Dr. Monika Deuerlein: "Doch es gibt junge Menschen, wo alle Maßnahmen nichts bringen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Diensten und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sagen zu Recht: Wenn alles zu spät ist, sind wir dran, das hat man doch kommen sehen. "
Als mögliche Maßnahmen der Jugendhilfe in besonders schwierigen Fällen nannte Dr. Deuerlein nannte die geschlossene Heimerziehung, die Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung, auch in der Wohnung des Klienten, erlebnispädagogische Maßnahmen und andere Gruppentrainings. Wichtig sind personenzentrierte Maßnahmen (wie konfrontative Pädagogik, das heißt: den Betroffenen akzeptieren, aber nicht seine Taten, ihn mit den Folgen der Taten konfrontieren und ihnen den Schein des "Coolen" nehmen), familienzentrierte Maßnahmen wie Elterntrainings und kommunale und lebensfeldnahe Maßnahmen, die präventiv wirken (zum Beispiel: Armutsbekämpfung, ausreichende Spiel- und Sportmöglichkeiten, den Kindergarten qualifizieren, damit den Kindern, die auffällig sind, frühzeitig geholfen werden kann.
Erwin Schletterer, Leiter der BRÜCKE e.V., einer Augsburger Einrichtung für die ambulante Jugendstraffälligenhilfe, nannte ebenfalls erfolgversprechende Eingriffsmöglichkeiten, wenn Jugendliche straffällig geworden sind. Dazu zählen Soziale Trainingskurse, Anti-Aggressionstrainings, pädagogisch begleitete gemeinnützige Arbeit, Täter-Opfer-Ausgleich (eine außergerichtliche Konfliktschlichtung, bei der das Ergebnis eine materielle Wiedergutmachung, eine Entschuldigung oder eine Arbeitsleistung sein kann.)
Erfolge der Jugendhilfe
Die Kinder- und Jugendhilfe ist nicht hilflos, aber sie kann auch nicht immer helfen. Eine Langzeituntersuchung über drei Jahrzehnte zeigte, dass bisweilen unerwartet günstige Lebensläufe der ehemals dissozialen Jugendlichen in Zusammenhang mit stabilen Partnerbeziehungen standen. Erwin Schletterer verwies auf die hohe Erfolgsquote von sozialen Trainingskursen, wenn diese von Fachpersonal durchgeführt und von den Jugendlichen planmäßig besucht und abgeschlossen werden.
Erziehungshilfe, so Dr. Deuerlein, stellt einen Beitrag zum "Leben lernen" dar, auch für dissoziale Jugendliche, manchmal mit verspäteter Wirkung.