Die Caritas und der allgemeinverbindliche Tarifvertrag
Was ist passiert?
Im vergangenen Jahr haben der neu gegründete Bundesverband der Arbeitgeber in der Pflege (BVAP) und die Gewerkschaft Ver.di einen Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Pflege ausgehandelt und am Anfang des Jahres die Verhandlungen abgeschlossen. Zunächst hätte dieser Vertrag nur die ca. 70.000 Beschäftigten umfasst. Da es Ver.di über Jahre nicht gelungen ist, im Pflegebereich einen substanziellen Anteil der Beschäftigten zu mobilisieren und einen guten Tarifvertrag auszuhandeln, ist man an Bundesarbeitsminister Heil herangetreten, um den zwischen BVAP und Ver.di ausgehandelten Tarifvertrag über den Umweg des Arbeitnehmerentsendegesetzes als allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Teil des Gesetzes ist auch, dass Caritas und Diakonie, die rund ein Viertel der der Menschen im Pflegesektor in Deutschland beschäftigen, ihre Zustimmung erteilen müssen, auch wenn sie dieser Tarif nicht betrifft.
Die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas, die die Löhne und Arbeitsbedingungen in einem in der Caritas demokratisch legitimierten Gremium verhandelt, hat diese Zustimmung nicht gegeben. Diese Entscheidung wurde im Nachgang kontrovers diskutiert und die Caritas insbesondere von Seiten Ver.di massiv kritisiert.
Was waren die Gründe für eine Ablehnung der Allgemeinverbindlicheit des ausgehandelten Tarifvertrags von Ver.di und BVAP?
Tatsächlich hat sich die Arbeitsrechtliche Kommission die Entscheidung nicht leicht gemacht und den Entschluss nicht einstimmig gefasst. Es gibt verschiedene Argumente im Zusammenhang mit der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags für die Pflege - sowohl dafür wie auch dagegen. Das Argument der Solidarität ist tatsächlich ein starkes für die Allgemeinverbindlichkeit und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es uns als Caritas gut zu Gesicht gestanden hätte. Aber die arbeitsrechtliche Kommission hat den anderen Argumenten folgend anders entschieden. Denn die jetzt von Ver.di und anderen Aktivisten als Allheilmittel gepriesene Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifwerks lässt viele wichtige Aspekte im System Pflege außer Acht und eine dringend notwendige Reform wäre politisch auf die lange Bank geschoben worden. Darin muss die Refinanzierung grundsätzlich geklärt werden, damit die höheren Personalkosten nicht einseitig zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen.
Hinzu kommt die nicht unbegründete Befürchtung, dass mittelfristig das deutlich über dem ausgehandelten Niveau liegende Lohngefüge der Caritas von den Kostenträgern auf Dauer nicht mehr refinanziert würde. Tatsächlich sichern die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen unser höheres Lohnniveau derzeit ab. Aber der Blick in die Vergangenheit zeigt: Das muss nicht so bleiben, insbesondere, wenn es einen bundesweit geltenden Tarifvertrag gibt, der deutlich schlechter ist als das, was wir als Caritas bezahlen. Gerade vor dem Hintergrund klammer Kassen der Versicherungen und Kommunen könnte es künftig heißen: Wir finanzieren nur noch den allgemeinverbindlichen Tarif. Dann könnte unser Lohnniveau schon unter Druck geraten.
Und ein weiteres Argument, auf das Caritas und Diakonie dem Vernehmen nach schon im Vorfeld die Vertragsparteien hingewiesen hat, kann angeführt werden: Der ausgehandelte Tarifvertrag weist für das betreffende Personal Lücken auf. Zwar hätte sich das Lohniveau grundsätzlich für alle erhöht, aber andere wichtige Regelungen, die die Rahmenbedingungen der Pflege verbessert hätten, wie z.B. Überstundenregelung, Nachtzuschläge, geregelte Arbeitszeit oder eine betriebliche Altersvorsorge finden sich dort nicht.
Weshalb ist die Caritas jetzt so in der Kritik, wo sie doch höhere Löhne zahlt?
Diese Frage ist durchaus berechtigt. Es verwundert schon, dass die Gewerkschaft genau diejenigen angeht, die schon lange bessere Löhne zahlen als das, was Ver.di jetzt als großen Wurf verkündet. Hinzu kommt: die Tarifautonomie ist ein hohes Gut und ein politischer Eingriff über eine Allgemeinverbindlichkeit immer nur eine Ersatzlösung, wenn eine Einigung nicht auf anderem Weg geschehen kann. Deshalb muss sich Ver.di schon fragen lassen, warum das bisher nicht gelungen ist. Und noch eins: Wir haben noch nichts davon gehört, dass der Tarifvertrag, der nun allgemeinverbindlich erklärt werden sollte, wenigstens für die 70.000 Mitarbeitenden der beiden ursprünglichen Tarifparteien gilt. Das wäre ja auch schon ein Erfolg für Ver.di.
Hinzu kommt, dass der sog. Dritte Weg, nach dem die Kirchen und kirchliche Einrichtungen zu ihre Arbeitsvertragsrichtlinien kommen, die Lohn, Arbeitszeiten und sonstige Leistungen für Arbeitnehmer regeln, Ver.di schon lange ein Dorn im Auge ist, da sie dadurch keinen Einfluss nehmen können. Allerdings zeigt sich: Mit ihrem kooperativen und im Gegensatz zu den Gewerkschaften weniger konfrontativen Verfahren der Lohnfindung gehen die Kirchen einen Weg, der zu einem hohen Lohnniveau führt und gute Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmer erreichbar macht. Diesen sog. dritten Weg abzuschaffen ist schon seit Jahren erklärtes Ziel der Gewerkschaft und sicherlich wichtiges Ziel der aktuellen Kampagne.
Wie kann es jetzt weitergehen? Wie setzt sich die Caritas für höhere Löhne in der Pflege ein?
Zunächst sei an dieser Stelle noch einmal festgehalten, dass die Caritas und auch die Diakonie mit die höchsten Löhne der Branche bezahlen und i.d.R. nicht auf Profit ausgerichtet sind. Das immer wieder vorgetragene Anliegen, die arbeitsrechtliche Kommission möge Ihre Entscheidung zurücknehmen und anders entscheiden, ist von dieser Seite bereits abgelehnt worden.
Als Caritas sehen wir deshalb nun zwei Schritte, um das Lohngefüge zu verbessern, die bereits jetzt schon offenstehen.Zunächst mal kann eine Mindestlohnkommission die von Ver.di geforderten Untergrenzen festlegen. Und das sollte in einem ersten Schritt jetzt passieren, um unmittelbar Verbesserungen für die prekär Beschäftigten bei den Billigheimern zu erreichen. Was die Mindestlohnkommission nicht leisten kann, ist Arbeitsbedingungen zu verbessern, das Image eines Berufsbilds erhöhen oder die Finanzierungsfrage klären. Das hätte auch, anders als Ver.di gerne behauptet, ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag nicht leisten können. Tatsächlich wäre er sogar eher kontraproduktiv gewesen, weil das Thema einer grundlegenden Reform der Pflege mit Verweis auf den Tarifvertrag politisch in den Dornröschenschlaf versetzt worden wäre.
Mitte März hat Bundesgesundheitsminister Spahn jetzt einen Referentenentwurf zur Reform zur Pflege vorgelegt, der viele wichtige und richtige Punkte beinhaltet, wie z.B. die Tarifbindung, die Deckelung der Pflegebeiträge und weiteres. Statt sich gegenseitig Vorwürfe zu machen gilt es nun, konzertiert diese Reform voranzutreiben, den politischen Druck zu kanalisieren und uns gemeinsam vehement dafür einzusetzen, dass das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode beschlossen wird.